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Alpha ist so 2019

Alpha ist so 2009

„Du musst ihm nur zeigen, wer der Alpha von euch ist!“ höre ich den jungen Mann auf der Hundewiese zu dem anderen jungen Mann sagen. Der andere junge Mann schaut skeptisch seinen Labrador an, der währenddessen vergnügt auf einer etwas ohnmächtig wirkenden Bulldogge herumspringt.

„Zeig ihm, wer Alpha ist! Ich hab‘ meinen als er Welpe war gleich einmal auf den Rücken gelegt – dann wusste er von Anfang an wer der Boss ist!“

 

Selbst die Bulldogge schaut skeptisch drein, ist aber mit anderen Dingen beschäftigt. Der vergnügte Labrador kaut hingebungsvoll auf ihrem linken Ohr und lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Nun ja, zugegeben, das drohende Zähneblecken ist bei einer Bulldogge auch nicht so leicht zu erkennen und Labradore sind in ihrer Vergnügtheit in der Regel durch so ziemlich nichts zu bremsen. Außer vielleicht von einem Bulldozer. Vielleicht aber auch nicht.

 

Die Bulldogge hat gleich die Faxen dicke, das versteht zwar der Labrador nicht, durchaus aber sein Herrchen, der stille andere junge Mann. Seine Versuche, seinen Labrador von der Bulldogge zu pflücken scheitern allerdings angesichts der Vergnügtheit des Labradors.

 

„Lass die man, die regeln das unter sich…“ feixt der erste junge Mann, betont lässig die Hände in den Hosentaschen. Sprach‘s und schon passiert’s. Kurzes Gelärme und Geknäuel, der immer noch vergnügte Labrador trollt sich einen halben Kilometer weiter zu anderen, vergnügter wirkenden Spielpartnern und die Bulldogge steht – zufrieden mit sich und der Welt – wieder alleine auf der Wiese.

 

Und staunt nicht schlecht als ihr Herrchen sich plötzlich auf sie wirft und mit ganzem Körpereinsatz versucht, sie auf die Seite zu hebeln. Keuchend untermalt er seine Aktion abwechselnd mit Knurrgeräuschen und Erklärungen. „Ich bin der Alpha – der muss das lernen – der darf nicht aggressiv sein – das muss er akzeptieren dass ich dominanter bin…“

 

Alpha ist so 2019 – oder noch älter. Spätestens seit Kollegah und Farid Bang kann man den Begriff jetzt eigentlich gar nicht mehr verwenden.

Was der Bulldoggenbesitzer, Kollega und Farid nicht mitgeschnitten haben ist die Tatsache, dass die Alpharolle nicht nur mit einer Menge Verantwortung einhergeht, sondern auch nahezu überhaupt keines gesteigerten Aggressionsverhaltens bedarf.

 

Verantwortung, weil ich in meiner Führungsrolle rechtzeitig (!) erkennen muss, dass sich meine Hilfsbefohlenen in einer Konfliktsituation befinden. Weil ich entscheiden muss, ob und wie das Ganze weiter eskalieren soll oder ob ich einschreite. Weil ich fair bleiben muss und dauernd über die Konsequenzen meines Handelns nachdenken. Weil ich die ganze Zeit die Situation überblicken muss und mein Nichtstun weise wählen. 

Das kostet Energie, ist anstrengend und nervenaufreibend – weshalb die sogenannten "Alphas" in einem Wolfsrudel den höchsten Cortisolspiegel haben.

 

Werde ich von meinem Gegenüber dann auch noch ernst genommen brauche ich eigentlich gar kein Aggressionsverhalten, um ihn in seinem Verhalten zu manipulieren. Vor allem brauche ich über das Drohen hinaus nicht im Aggressionsverhalten zu eskalieren.

 

Das ist wichtig. Vielleicht muss man den Satz nochmal lesen. Wer ernst genommen wird muss sich nicht aggressiv verhalten! Aber er muss Verantwortung übernehmen.

 

Was einen guten Alpha sonst noch ausmacht? Ruhe, Gelassenheit und meiner Meinung nach eine gute Prise Humor. Das hilft bei der Selbstkritik.

Und anstatt den Hund ein paar Mal situativ zu dominieren (vom richtigen Timing ganz zu schweigen), braucht es eine verlässliche und konsequente Führung, also eine Langzeitperspektive. Verlässlich sein heißt durchaus Dinge laufen lassen – aber einmal getroffene Entscheidungen dann auch durchzuziehen. 

Will ich also nicht, dass mein Hund sich übers Drohen hinaus aggressiv verhält sollte ich ihm zum Beispiel rechtzeitig aus Situationen helfen, in denen er solches Aggressionsverhalten dann benötigen würde, um seine Ruhe zu haben. Sprich selber den vergnügten Labrador vom Ohr pflücken.

Oder eben laufen lassen im Wissen, dass er selbst auch souverän genug ist, um die geringste notwendige Eskalation zu wählen.

Das Aggressionsverhalten normal und gesund ist, und das Timing in der Hundeerziehung eine gewaltige Rolle spielt, schreiben wir nochmal auf einem anderen Blatt…

Und dass der vergnügte Labrador aus der Situation wahrscheinlich so ziemlich gar nichts mitgenommen hat, was ihm seine Laune verderben könnte, auch ;)

In diesem Sinne - eine vergnügte Zeit wünsche ich euch!

Eure Verena